Vorbemerkung:
- Es ist nicht bekannt, wann genau 1933 die Streichungen im „Bücherverzeichnis“ der Städt. Volksbücherei Pforzheim durchgeführt wurden und wer sie veranlasst bzw. vorgenommen hat.
- Anzunehmen ist, dass diese Streichungen 1933 nur ein Anfang waren, denn insgesamt wurden mehr als 1000 Bücher als „politisch-weltanschaulich untragbar oder literarisch minderwertig“ aus der Städt. Volksbücherei Pforzheim ausgesondert.
Folgende Titel sind in einer Liste, die aus dem Jahr 1929/1930 stammt, gestrichen:
Barbusse, Henri, Das Feuer
Barbusse, Henri, Klarheit
Barbusse, Henri, Erhebung
Barbusse, Henri, Kraft u.a. Erzählungen
Baum, Vicky, Stud. Chem. Helene Willfüer
Bebel, August, Aus meinem Leben
Böckheler, N., Christaller, Theodor, Der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun
Broch, Hermann, Die Schlafwandler (3 Bd.)
Brod, Max, Weiberwirtschaft, Der Bürger und die Frau, Das große Wagnis
Bulcke, Karl, Die drei Trostburgs
Busch, Wilhelm, alles außer Eduards Traum
Busson, Paul, Aschermittwoch
Byr, Robert, (i.e. Bayer, Robert von) Sternschnuppen
Byr, Robert, Ein Reiterschwert
Dill, Liesbet, Franziska
Döblin, Alfred, alles außer Wallenstein
Dorgelès, Roland, Die hölzernen Kreuze
Dorgelès, Roland, Das Wirtshaus zur schönen Frau
Dos Passos, John, Drei Soldaten
Düringsfeld, Ida von, Das Buch denkwürdiger Frauen
Ebert, Friedrich, Schriften, Aufzeichnungen, Reden
Ginster (Pseud. für Siegfried Kracauer), Von ihm selbst geschrieben
Glaeser, Ernst, Jahrgang 1902
Glaeser, Ernst, Frieden
Göhre, Paul, Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche
Gorki, Maxim, Der Spitzel
Gorki, Maxim, Eine Beichte
Hartleben, Otto Erich, Vom gastfreien Pastor
Hasenclever, Walter, Die Menschen
Hirschfeld, Georg, Das Kreuz der Wahrheit
Hirschfeld, Georg, Der Wirt von Veladuz
Hirschfeld, Georg, Die Hände der Thea Sigrüner
Hoffmann, Franz, Erzählungen für die Jugend
Holitscher, Artur, Bruder Wurm
Holitscher, Artur, Geschichten aus zwei Welten
Holitscher, Artur, Lebensgeschichte eines Rebellen
Klabund (i.e. Henschke, Alfred), Borgia, Roman einer Familie
Klabund, Der Kreidekreis
Klabund, Erzählungen
Klinckowström, Agnes von, Zweierlei Ehre
Lassalle, Ferdinand, Biografie von Oncken, Hermann
Lassalle, Ferdinand, Biografie von Schirokauer, Arno
Lissagaray, Prosper, Geschichte der Kommune von 1871
London, Jack, Die eiserne Ferse
London, Jack, Die Zwangsjacke
Ludwig, Emil, Bismarck, Geschichte eines Kämpfers
Ludwig, Emil, Goethe, Geschichte eines Menschen
Ludwig, Emil, Kunst und Schicksal, Vier Bildnisse (Rembrandt, Beethoven, Weber, Balzac)
Mann, Heinrich, alles (8 Titel)
Marcu, Valeriu, Lenin, 30 Jahre Russland
Marx, Karl, Das Kapital
Marx, Karl, Versuch einer Würdigung von Wilbrandt, Dr. R.
Raynal, Paul, Das Grab des unbekannten Soldaten
Reck-Malleczewen, Friedrich, Sif. Das Weib, das den Mord beging
Remarque, Erich M., Im Westen nichts Neues
Remmele, Adam, Staatsumwälzung und Neuaufbau in Baden
Renn, Ludwig, Krieg, Kriegserlebnisse eines Frontsoldaten
Scheidemann, Philipp, Der Zusammenbruch
Scheidemann, Philipp, Memoiren eines Sozialdemokraten
Schoenaich, Freiherr von, Mein Damaskus
Sinclair, Upton, alles (8 Titel)
Suttner, Berta von, Die Waffen nieder
Thiers, A., Geschichte der franz. Revolution
Thiers, A., Geschichte des Konsulats und Kaiserreichs
Wassermann, Jakob, alles außer Kaspar Hauser, Das Gänsemännchen und Die Juden
von Zirndorf (11 Titel)
Wedekind, Frank, Frühlings Erwachen
Zweig, Arnold, Frühe Fährten
Zweig, Arnold, Die Novellen um Claudia
Zweig, Arnold, Der Streit um den Sergeanten Grischa
Zweig, Arnold, Pont und Anna
Zweig, Stefan, Die Verwirrung der Gefühle
Zweig, Stefan, Amok
Erläuterungen zu den AutorInnen:
- Autoren wie Bebel, Bulcke, Ebert, Göhre, Gorki, Lassalle, Lissagaray, Marx, Remmele und Scheidemann bzw. Werke über diese wurden unter „Marxisten“ subsumiert und ihre Bücher z.T. am 17. Juni 1933 auf dem Marktplatz mit dem Feuerspruch „gegen Klassenkampf und Materialismus“ verbrannt.
- AutorInnen wie Baum, Brod, Döblin, Hirschfeld, Holitscher, Kracauer, Ludwig, Marcu, Schirokauer, Arnold und Stefan Zweig sowie Wassermann fielen der Zensur unter dem Stichwort „volksfremder Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung“ zum Opfer.
- Zu den pazifistischen bzw. Anti-Kriegs-AutorInnen gehörten Barbusse, Dorgelès und Raynal aus französischer Sicht, Dos Passos aus amerikanischer, Gläser, Remarque, Renn, Schoenaich, Suttner sowie Arnold und Stefan Zweig aus deutscher bzw. österreichischer Sicht.
- J. London (USA) war v.a. in „Die eiserne Ferse“ unerbittlicher Kritiker des Kapitalismus, er propagierte schon 1905 eine sozialistische Alternative gegen die Herrschaft der Oligarchen und Trusts; Sinclair war Mitglied der Sozialistischen Partei Amerikas.
- Auffällig ist die Streichung von Autoren, die in keiner anderen erhaltenen Liste der verbotenen Bücher vorkommen, wie Bulcke, Busch, Busson, Byr, Dill, Dorgelès, Düringsfeld, Hirschfeld, Klinckowström, Raynal, Reck- Malleczewen und Thiers.
Gründe, Anlässe oder Vorwände für die Streichungen sind nur zu vermuten:
• für Roland Dorgelès und Paul Raynal bzw. Georg Hirschfeld sind mögliche Vorwände /Gründe oben angegeben;
• bei Karl Bulcke könnte es die Tatsache gewesen sein, dass er die Autorengewerkschaft „Schutzverband deutscher Schriftsteller“ mitbegründet hat;
• „Max und Moritz“ von Wilhelm Busch waren 1929 in Österreich als verdammenswerte Vorbilder mit Verkaufsverbot belegt;
• Paul Busson könnte wegen seiner Mitarbeit bei der satirischen Zeitschrift „Simplicissimus“ ins Schussfeld geraten sein;
• Liesbet Dill stellte in ihren Romanen selbstbewusste Frauen auf dem Weg zur Emanzipa-tion vor, die Berufstätigkeit anstreben – ein von den Nazis nicht gewünschtes Frauenbild;
• Ida von Düringsfeld schrieb u.a. eine Hymne an George Sand, eine frühe Sozialkritikerin und Verfechterin der Frauenemanzipation;
• Friedrich Reck-Malleczewen gehörte zu den konservativen Kritikern der Nazi-Bewegung und verfasste 1937 einen Schlüsselroman gegen die Diktatur, er „starb“ im Januar 1945 im KZ Dachau;
• Adolphe Thiers war Chronist der französischen Revolution und damit ein Verfechter der universellen Menschenrechte;
• für N. Böckheler, Robert Byr und Agnes von Klinckowström fehlen jegliche Hinweise, aus welchen Gründen, unter welchem Vorwand oder aus welchen Vorurteilen heraus sie aus dem Bestand der Bücherei gestrichen wurden.
Der Text wurde uns freundlicherweise von Gerhard und Brigitte Brändle zur Verfügung gestellt. Vielen Dnk dafür!