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Neubrandenburg

31. Mai 1933 , Marktplatz
Die NSDAP Ortsgruppe rief für den 31. Mai 1933 in Neubrandenburg zu einer Bücherverbrennung auf.
Gedenkort: Gedenkstein auf dem Marktplatz

Bücherverbrennung in Neubrandenburg

von Eleonore Wolf

Vernichtende Feuersbrünste haben Neubrandenburg in seiner Vergangenheit mehrfach heimgesucht. Die vorerst letzte lag im Jahr 1933 knapp 200 Jahre zurück. Sichtbare Narben gab es keine mehr, doch selbst 1737 versuchte der damalige Bürgermeister Wiermann das städtische Archiv zu retten, in dem sich zahlreiche handschriftliche und gedruckte Bücher befanden. Später war zu erfahren, dass er den Schlüssel nicht rechtzeitig fand und dann die Wasserspritze wohl mehr zur Rettung des eigenen Wohnhauses einsetzte. Jedoch eine bewusste Vernichtung von Büchern ist in Neubrandenburg vor 1933 selbst für die Reformationszeit nicht nachgewiesen.

Nachdem am 12. Mai 1933 in der hiesigen Lokalpresse vermeldet wurde, dass tags zuvor in Berlin die Studentenschaft den „Ungeist der Novemberliteratur“ und ihre Werke „den Flammen anvertraut“ wurden, informierte eben dieses Blatt schon einen Tag später, dass „der örtliche Ausschuss für Presse und Propaganda im Kampfe wider den undeutschen Geist“ die sogenannte „Schwarze Liste“ mit den Namen der Autoren, deren Bücher verbrannt werden sollten, bekannt gab. Untergliedert in die drei Abteilungen „Belehrende Literatur“, „Schöne Literatur“ und „Politik und Staatswissenschaften“ folgten in alphabetischer Reihenfolge die Namen missliebiger „jüdischer sowie marxistischer oder pazifistisch angesehener Schriftsteller“ und teilweise die Titel der zu vernichtenden Bücher. Ob dieser Ausschuss speziell gebildet wurde, ist nicht zu ermitteln, denn in den vorhandenen städtischen Ratsprotokollen wurde nichts über seine Tätigkeit fixiert. Außer den erwähnten Dokumenten existieren keine amtlichen Schriften mehr über die NS-Zeit im Neubrandenburger Stadtarchiv.

Es dauerte noch knapp zwei Wochen, bis in der Neubrandenburger Zeitung von der NSDAP-Ortsgruppe zu einer Verbrennung der Schund- und Schmutz-Literatur am 31. Mai aufgerufen wurde, denn eine Universität oder Hochschule, deren Studenten sich ähnlich wie in Berlin der Bücherverbrennung hergeben, gab es in Neubrandenburg nicht. Ein umfangreicher, heute überzogen pathetisch anmutender Beitrag schildert in der Presse vom 1. Juni das Ereignis, an dem sich trotz des strömenden Regens „eine riesige Menschenmenge im Kreise um die Opferstätte auf dem Marktplatz gruppierte“. Es heißt unter anderem: „.... Mit der Verbrennung der undeutschen Bücher soll die restlose Zerstörung des undeutschen Geistes demonstriert und zugleich die leuternde, erfreuende Macht des Feuers betont werden.“ Diese Macht des Feuers wird schon zwölf Jahre später niemanden mehr in Neubrandenburg erfreuen. Doch dazu später. Zunächst regnete es Ende Mai in Neubrandenburg und um den „undeutschen Geist“ auch hier den Flammen übergeben zu können, wurden unter anderem Holzkisten unter den Bücherscheiterhaufen gegeben. Pünktlich um 21 Uhr marschierten die nationalsozialistischen Formationen auf. Nach der flammenden Rede des Ortsgruppenführers Hornd über die Entwicklung der Bewegung und den angekündigten Kampf gegen alle, „... die noch im Trüben fischen und im Dunkeln arbeiten wollten...“ wurde nach einem „Sieg Heil“ an die Zukunft gedacht und die sollte mit der Vernichtung von Schund- und Schmutzliteratur beginnen, damit sie nicht in die Hände der Jugend gelangt. Das Feuer wurde entzündet und „... bald loderten die Flammen empor. Die NS-Kapelle intonierte „Deutschland über alles“ und eine gewaltige Menschenmenge sang im strömenden Regen die Nationalhymne mit. ... Deutlich sah man, wie verschiedene marxistische Flugblätter durch die Hitze sich hoch in die Luft erhoben. Sie mussten infolge dieses „passiven“ Widerstandes von Neuem zum Scheiterhaufen gebracht werden...“ Nach einer dreiviertel Stunde war „... das Hauptzerstörungswerk vollendet, und die NSDAP, die während des Brandes noch verschiedene Trutz- und Kampflieder gesungen hatte, marschierte ab ...“ Auch die Bevölkerung wanderte „befriedigt im strömenden Regen wieder nach Hause. Noch bis gegen 11 Uhr (abends d.A.) züngelten auf dem Marktplatz lebhafte Flammen, von einer NSDAP-Abteilung sorgsam bewacht...“ Weitere Meldungen über dieses Ereignis sind in der örtlichen Presse nicht zu entnehmen. Auch gibt es keine Aussagen darüber, in wieweit die Bestände der öffentlichen Leihbibliothek, die sich im Palais am erwähnten Marktplatz befand und der privaten Leibibliotheken der Hubert-Moerke-Buchhandlung und der Brünslowschen Hofbuchhandlung dezimiert wurden. Von einer hundertprozentigen Aussonderung ist hier wohl auszugehen, wobei auf Grund der stark konservativ gesprägten Bevölkerung der Stadt anzuzweifeln ist, dass sich zum Beispiel Sammlungen marxistischer Literatur in den Beständen der Leihbibliotheken befanden.

Dass jedoch nicht alle „verbotenen“ Bücher auf dem Scheiterhaufen landeten, mag eine Episode aus dem bisher unveröffentlichten Manuskript eines autobiographischen Romans der in Neubrandenburg geborenen und aufgewachsenen Buchautorin Eva Rechlin belegen. Rechlins Vater war einer der Pastoren an der hiesigen Marienkirche. Ihre Protagonistin Ruth, eine ungefähr 12jährige Schülerin lieh um 1940 aus dem ihr verbotenen väterlichen Bücherschrank in der ganzen Straße und der halben Schulklasse Erich-Kästner-Kinderbücher aus, so auch an eine neue Schulkameradin. Diese wurde täglich aus dem nahegelegenen Alt Rehse mit einem PKW der SS zur Schule in die Stadt gefahren. In Alt Rehse befand sich zu dieser Zeit die „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft“, der Vater der Schulfreundin war dort als leitender Arzt tätig. Die Schulkameradin brachte das erwähnte Buch nach kurzer Zeit ungelesen mit der Bemerkung zurück:
„...Erich Kästner ist verboten. Solche Bücher gehören ins Feuer; die darf man jetzt gar nicht mehr haben und noch weniger verleihen.“ „Fast die ganze Klasse hat es gelesen!“ „Umso schlimmer. Zähle mich bitte nicht dazu. Es gehört zur Schund- und Schmutzliteratur, sagt mein Vater. Vielleicht wusstest ihr das bisher ja nicht.“ Nach dem Bismarckschen Zitat, wonach in Mecklenburg erst alles 50 Jahre später ankommt, wäre das ein Umstand, der Ruths Vater eventuell das Leben rettete.
Es ist nicht überliefert, wie nah diese Episode sich an der Realität orientiert, doch zahlreiche, durch Rechlin authentisch beschriebene Ereignisse lassen auch hier die Vermutung zu, dass Fiktion und Wirklichkeit nahe beieinanderlagen.

Eine Woche vor dem Ende des 2. Weltkrieges holte das Kampfgeschehen auch Neubrandenburg ein und ausgelöst durch Scharmützel mit versprengten Resten der deutschen Wehrmacht wurde am 29. April 1945 die Innenstadt durch die Rote Armee in Brand gesetzt und ein neuerlicher Stadtbrand vernichtete über 80 % der zum größten Teil aus Fachwerk bestehenden Gebäudesubstanz. Wie durch ein Wunder blieb der Straßenzug, in dem sich die Pfarrhäuser befanden, vom Feuer verschont. Falls die Geschichte Rechlins wahr ist und nicht nur aus der Gegenwart in die Vergangenheit interpretiert wurde, hätten die Kästnerschen Kinderbücher auch dieses Feuer in Neubrandenburg schadlos überstanden.

Die Autorin Elenore Wolf arbeitet am Stadtarchiv Neubrandenburg. Vielen Dank für die Zur Verfügungsstellung des Textes.







Verbrannte Orte