von Birgit Herkula
Magdeburg und das Ende der Demokratie
Am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt.
Innerhalb kürzester Zeit treten Verordnungen und Gesetze in Kraft, die die Grundlage für das Verbot demokratischer Gesinnung, freien Denkens und Glaubens bilden. Hier eine kurze Auswahl:
Die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes [„Versammlungsund Presseverordnung“] vom 4. Februar 1933 ermächtigt Polizei und Justiz, die Pressefreiheit außer Kraft zu setzen.
Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 ermöglicht die Aussonderung von Beamten, „...die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten...“
Daran gekoppelt ist das am selben Tag verkündete Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, in dem die „Zulassung von Rechtsanwälten, die im Sinne des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums... nicht arischer Abstammung sind, bis zum 30. September 1933 zurückgenommen werden kann.“
Die Heimat, das geistige Zuhause verlieren in den jungen Tagen des Jahres 1933 abertausende Menschen. Sie sehen den „totalen Krieg“ mit seinem Inferno voraus, widersetzen sich der machthabenden Ideologie oder fügen sich als Variable in die „Gleichschaltung“ nicht ein.
Es genügt, in den Dogmen der herrschenden Partei NSDAP als „undeutsch“ oder „artfremd“ und nicht staatsdienend dargestellt zu werden.
Per Gesetz werden sich der Pressefreiheit verpflichtet fühlende Journalisten mit Berufsverbot belegt. Ende Februar 1933 muss die sozialdemokratische „Volksstimme“ ihr Erscheinen einstellen.1
Die in nahezu vorauseilendem Gehorsam antisemitisch „gleichgeschaltete“ Magdeburger Zeitung „Der Generalanzeiger“ titelt bereits am 7. Mai 1933 unter „Die Lüge geht um! Ein Wort an unsere Leser“ gegen ein vermeintliches Gerücht: „Man will Leuten, die seit Jahrzehnten mit uns in Treue verbunden sind, und die uns vielfach von Kindesbeinen an als anständige deutsche Menschen kennen, einreden, der General-Anzeiger wäre ein Judenblatt. Wer die 300jährige nationale Tradition des Hauses Faber und wer seine Mitarbeiter kennt, wird darüber lachen. Aber der Kreis unserer Leser ist ungeheuer groß, das Heimatgebiet, dem unsere Arbeit gilt, ist weit. Darum stellen wir hier an dieser Stelle für alle diejenigen, die uns nicht so genau kennen, ausdrücklich fest: Der General-Anzeiger ist ein rein christliches Unternehmen. Weder unter den Leitern des Verlages noch in seiner Redaktion befand oder befindet sich ein einziger Jude. Für die Wahrheit dieser Erklärung bürgt der Name der Familie Faber, die seit Jahrhunderten in Magdeburg für unsere deutsche Heimat arbeitet.“
Frei denkende Schriftsteller werden öffentlich angefeindet und diskriminiert. Ihre Werke bleiben unveröffentlicht, ihr geistiges Eigentum wird der öffentlichen Wahrnehmung entzogen. Schriftsteller, die einer Broterwerbstätigkeit nachgehen, geraten durch Entlassungen und Berufsverbot in materielle Not. Betroffen sind auch Schriftsteller und Journalisten im Regierungsbezirk Magdeburg.
Der Bibliothekar Wolfgang Herrmann leitet den „Ausschuss zur Neuordnung der Berliner Stadtund Volksbüchereien“ und ist maßgeblich im Auftrag des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda für die Erstellung von „Schwarzen Listen“ und bei der „Säuberung“ der Bibliotheken verantwortlich. Auf einer Verbotsliste der Reichsschrifttumskammer stehen in Preußen bis Oktober 1935 3.600 Buchtitel als Einzeltitel. Die Liste umfasst 565 Gesamtverbote von Autoren. Die schwarzen Listen werden regional vielfach erweitert. In der Stadtbibliothek Magdeburg werden 5.300 Bände in den Katalogen gelöscht, in einem besonderen Raum aufgestellt, und können nur mit besonderer Genehmigung des Bibliothekdirektors Dr. phil. Arthur Reichsritter von Vincenti ausgeliehen werden.2
Die Bücherverbrennung in Magdeburg 1933
In der Nacht zum 3. April 1933 stürmt ein 50-köpfiges Bataillon der SS (Sturm 1/21) die Druckereiräume der sozialdemokratischen Tageszeitung „Volksstimme“, besetzt und durchsucht sie. Posten von Schutzpolizei und SS versperren die Eingänge des Gebäudes. Zahlreiche Schaulustige, die sich vor dem Haus der „Volksstimme“ versammeln, werden von der Schutzpolizei auseinandergetrieben.
Selbst die bereits „gleichgeschaltete* Magdeburgische Zeitung zitiert in ihrer Meldung vom 4. April 1933 die Pressestelle des Polizeipräsidiums: „Es haben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden, daß in der Druckerei der „Volksstimme“ illegale Schriften hergestellt wurden. Es wurden u.a. ein größerer Brocken älterer Broschüren, ferner drei Gummiknüppel, ein Karabiner und eine Patronentasche gefunden und beschlagnahmt. ... Das gesamte Material wurde in einer Kiste nach dem Polizeipräsidium geschafft. Das Gelände wird noch von der Schutzpolizei und der SS besetzt gehalten.“ Am Donnerstag, dem 6. April 1933 schreibt die Magdeburgische Zeitung unter dem Titel „Volksstimme nicht mehr besetzt“: „Am Mittwochnachmittag wurden von SS-Abteilungen aus den Räumen der Volksstimme eine Menge beschlagnahmter Broschüren, Bücher, Bilder, Fahnen und dergleichen auf ein Lastauto verladen und zum Domplatz gebracht. Dort war ein Scheiterhaufen errichtet, auf den man die beschlagnahmten Broschüren warf. In Anwesenheit von mehreren Abteilungen SS und SA wurde nach einer Ansprache von Kreisleiter Krause der Scheiterhaufen in Brand gesetzt: die im weiten Kreise um das Feuer versammelte Menge stimmte in das Horst-Wessel-Lied und das Deutschlandlied ein, das am Schluss der Kundgebung von der SA-Kapelle intoniert wurde. Die Besetzung des Volksstimmen-Gebäudes durch Schutzpolizei und SS-Abteilungen ist gestern nachmittag 17.10 Uhr aufgehoben worden. Nur die Schutzpolizei hat noch einige Sicherheitsposten aufgestellt.“
Verbrannt werden neben Archivalien zur Geschichte der SPD die rund 10.000 Bände umfassende Arbeiterbibliothek, die der Archivar und Schriftsteller Friedrich Henneberg (Mitglied im Stadtparlament 1913 bis 1933 und 1946 bis 1950) aufgebaut hart.34
Der Text stammt aus dem Buch "Verboten, verschwiegen, verschwunden" von Birgit Herkula und Simone Trieder. Er wurde uns dankenswerterweise zur Verfügung gestellt.