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Göttingen

10. Mai 1933 , Albaniplatz 1
Historische Adresse: Adolf-Hitler-Platz
Im Rahmen der „Aktion wider den undeutschten Geist“ verbrannten Göttinger Student*innen die Werke vieler verfolgter Autor*innen. Die Verbrennung fand auf dem Platz vor der Albanischule statt.
Gedenkort: Tafel am Albaniplatz

Die Bücherverbrennung in Göttingen

von Werner Treß/Klaus Wettig

Das politische Klima in Göttingen in den Schlussjahren der Weimarer Republik

Schon bei der Kommunalwahl in Preußen am 17.11.1929 (Bürgervorsteherwahl) erreichte die NSDAP für den Rat der Stadt Göttingen ein außerordentliches Ergebnis: Mit 8 Sitzen zog sie erstmals in den Rat ein und lag mit 22,0 Prozent knapp hinter der SPD, die 25,5 Prozent und 9 Sitze erzieltei. Nur die Überparteiliche Arbeitsgemeinschaft, ein kommunalpolitischer Zusammenschluss aus DNVP, DVP, DHP, Handwerkerschaft und rechts stehenden Vereinen verteidigte seine Vorrangstellung im Göttinger Rat mit 31,3 Prozent und 11 Sitzen, musste jedoch gegenüber dem Stimmenanteil der beteiligten Parteien und Gruppen bei der Kommunalwahl 1924 einen Verlust von 29,8 Prozent und 9 Sitzen hinnehmen. Die Wählerwanderung zur NSDAP war deutlich und nach der Wahl verschärften sich die politischen Konflikte in Göttingen zwischen der Minderheit der Republikaner und der Mehrheit aus indifferenter Arbeitsgemeinschaft sowie den gestärkten Nationalsozialisten, die in den folgenden 26 Monaten bis zur Machtübernahme 1933 das Gesetz des Handelns an sich rissen. Sie bedrängten und bedrohten ihre republikanischen Gegner, beherrschten die Straße, störten und verhinderten Veranstaltungen, die sie ablehnten, schreckten vor Gewalt gegen politisch Andersdenkende nicht zurück und gingen zu antisemitischen Aktionen über. Häuser jüdischer Mitbürger wurden mit aggressiven Parolen bemalt, es gab Sachbeschädigungen, Drohbriefe usw. Obwohl zwei Göttinger Zeitungen deutlich distanziert über das Vorgehen der NSDAP berichteten – das sozialdemokratische Volksblatt und die liberale Göttinger Zeitung – wuchs die Zustimmung zur NSDAP bei jeder nachfolgenden Wahl, daran dürfte das formal unabhängige, in seiner Berichterstattung offen nationalsozialistisch argumentierende Göttinger Tageblatt wesentlichen Anteil gehabt haben. Bei den Reichstagswahlen steigerte sich die NSDAP 1930 auf 37,8 Prozent, 1932 (I) auf 51,0 Prozent, 1932 (II) fällt sie auf 43,9 Prozent. Im 2. Wahlgang der Reichspräsidentenwahl hatten 50,0 Prozent der Göttinger Wähler für Adolf Hitler gestimmt.

Es kann deshalb nicht überraschen, wenn sich in Göttingen nach der Machtübernahme und vor allem nach der Reichstagswahl am 5.3.1933, bei der die NSDAP 51,2 Prozent erzielten, das politische Klima für republiktreue Parteien und Bürger und für jüdische Bürger deutlich verschärfteii. Schon am 28. März 1933 kommt es in Göttingen zu Gewaltaktionen gegen jüdische Geschäftsleute, bevor reichsweit am 1. April der Boykott stattfindet. Obwohl tausende von Göttingern Zeugen der brutalen Übergriffe wurden, stellte sich niemand als Zeuge den angegriffenen Juden zur Verfügung und die damals noch nicht nationalsozialistisch bestimmte Stadtverwaltung schwieg. Das sozialdemokratische Volksblatt war schon verboten; die liberale Göttinger Zeitung brachte nur eine Kurzmeldung; keinen Bericht, keinen Kommentar. Auch die Universität schwieg. Das Göttinger Tageblatt äußerte Verständnis für die Ausschreitungen, die auch vor der Synagoge nicht Halt gemacht hatten, denn die „maßlosen Entstellungen“ der Auslandspresse und die „jüdische Hitlerhetze“ hätten Gegenreaktionen der Deutschen provoziert.

Wenige Tage später verschärfte sich das politische Klima in Göttingen aufgrund von Reaktionen auf das seit dem 7. April geltende Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das die Entlassung von politisch unerwünschten Beamten (Sozialdemokraten, Liberale, Republiktreue) und von Juden ermöglichte. Zu diesem Gesetz gab es einen öffentlichen Protest: James Franck, Nobelpreisträger des Jahres 1929, hoch dekorierter Weltkrieg-I-Offizier, gab aus Protest gegen das Gesetz seinen Lehrstuhl auf. Der Nichtarier Franck wäre als Frontsoldat von dem Gesetz ausgenommen gewesen, doch dieses Privileg wollte er nicht nutzen. Francks Protest löste eine überraschende Reaktion seiner Professorenkollegen aus, von denen sich 42, darunter der überwiegende Teil der damals sehr kleinen Gruppe der Lehrstuhlinhaber, von ihm distanzierten. Sie sahen in seinem Protest einen Sabotageakt, der die „innen- und außenpolitische Arbeit unserer Regierung der nationalen Erhebung“ behindere, und forderten „beschleunigte Reinigungsmaßnahmen“.

Diese Reinigungsmaßnahmen ließen in der Universität mit Semesterbeginn nicht auf sich warten, denn die NS-Studentenschaft begann systematisch Vorlesungen jüdischer Professoren zu stören und zu boykottieren. Betroffen waren vor allem jüdische Professoren der damals weltberühmten Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, aber auch Professoren der Juristischen Fakultät, wie der Staatsrechtler Gerhard Leibholz, der seine Vorlesung nach Störungen durch SA-Studenten abbrechen musste. Leibholz war in der Bundesrepublik nach seiner Rückkehr aus der Emigration langjähriger Bundesverfassungsrichter.

Die Göttinger Bücherverbrennung im Spiegel einer Germanistik als
»völkischer Wissenschaft«

In diesem Klima entwickelten sich die Vorbereitungen für die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933, deren Organisator Heinz Wolff seit 1932 Vorsitzender der Göttinger Studentenschaft war.

Heinz Wolff stammte aus Elberfeldiii, hatte dort 1928 das Abitur bestanden, danach das Studium der Germanistik, Geschichte, Musikwissenschaften und Philosophie in Bonn begonnen, das er in Göttingen fortsetzte. Seit 1.9.1931 war er Mitglied der NSDAP und des NS-Studentenbundes, der in Göttingen, wie in fast allen deutschen Hochschulen, die stärkste hochschulpolitische Gruppe war; in Göttingen stellte er seit 1931 die absolute Mehrheit in der Studentenkammer, dem Selbstverwaltungsorgan der Studentenschaft.

Nach den Berliner Anweisungen bereitete er in Göttingen die Aktion wieder den undeutschen Geist vor, die am 5. Mai mit einem Aufruf des Kampfausschusses Göttinger Studenten an die Öffentlichkeit trat: Der Aufruf enthielt die Aufforderung an die Deutsche Volksgenossen die eigenen Bibliotheken zu säubern und das undeutsche Schriftentum bei den Sammelstellen der Studentenschaft abzuliefern. Ein wichtiger Bestand des zersetzenden Schrifttums, stammte aus der beschlagnahmten Bibliothek des von den Nazis am 2. Mai 1933 besetzen Volksheims, einer bis dahin gemeinsamen Einrichtung von SPD und freien Gewerkschaften.

An der Göttinger Georgia Augusta – 1737 aus dem Geist der Aufklärung gegründet - lud die Studentenschaft für den frühen Abend des 10. Mai 1933 zu einem Festakt in das Auditorium maximum. Die liberale Göttinger Zeitung berichtete am 11. Mai 1933 unter der Überschrift Wider den undeutschen Geist, dass der Hörsaal schon bald wegen Überfüllung geschlossen werden musste. Das den Nationalsozialisten nahe stehende Göttinger Tageblatt meldete am 11. Mai unter den Schlagzeilen Burschen heraus und Flamme empor...! sogar einen derartigen Andrang, dass »um das Hörsaalgebäude herum ein fast lebensgefährliches Drängen und Treiben« geherrscht habe. Dieser breite Rückhalt, den die Deutsche Studentenschaft der Universität Göttingen schon zum Auftakt ihrer Bücherverbrennung erlebte, wurde auch von der Universitätsleitung geteilt.

Zwei Reden im Auditorium maximum der Georgia Augusta

Die Eröffnungsrede des Rektors Friedrich Neumann
Der neu gewählte Rektor der Georgia Augusta, der Mediävist Friedrich Neumann, hielt die Eröffnungsrede. Das Göttinger Tageblatt berichtete darüber: »Der neu gewählte Rektor der Universität, Prof. Neumann, ließ es sich nicht nehmen, die einleitenden Worte zu sprechen und brachte zum Ausdruck, daß es im Kampfe wider den undeutschen Geist mit einer symbolhaften Handlung allein nicht getan sei. Vielmehr gelte es, in jedem einzelnen Falle die Frage zu stellen und zu prüfen, was schädlich und undeutsch sei.
Immer wieder wären wir in den letzten Jahren dem schädlichen Einfluß des zersetzenden Literatentums verfallen, ohne daß eine kraftvolle Gegenwirkung erfolgte.«
Die Göttinger Zeitung zitierte Neumann: »Als feindlich erkennen wir, was auf unsere Volkheit und auf unser persönliches Erleben zersetzend und auflösend wirkt; uns zugehörig ist das, was uns steigert und besser macht. Nicht das ist das Erregende, das tausende und abertausende Remarque gekauft haben, die Gefahr liegt darin, daß tausende, die es besser wissen mußten, dies Buch als echte Kriegserinnerung hinnehmen konnten. Wir haben nur dann ein Recht, wider den undeutschen Geist zu kämpfen, wenn wir unablässig daran arbeiten, daß unser Volk sein gesundes Wachstum behält und seine innere Eigenart vollendet. Unser gesamtes akademisches Dasein muß ein unaufhörliches Bemühen sein, das deutsche Leben dem deutschen Geist zuzuordnen.«
Seine Erregung darüber, dass Erich Maria Remarques Werk Im Westen nichts Neues als »echte Kriegserinnerung« hingenommen werden konnte, resultierte aus Neumanns Perspektive einer Germanistik, die bestrebt war, ihr Fach als eine »völkische Wissenschaft« zu betreiben. Einen Roman nach dem ohnehin sehr fragwürdigen Kriterium der »echten Kriegserinnerung« zu beurteilen, kommt einem Germanisten normalerweise nicht in den Sinn. Ohne den Ansatz einer fachgerechten Literaturkritik bestätigte Neumann vielmehr die von der Rechten seit Jahren gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, Remarque sei gar kein Frontsoldat gewesen. Ein Rest an wissenschaftlicher Lauterkeit hätte es geboten, diese Behauptung vor ihrem erneuten Hinausposaunen zu überprüfen. Neumann, neun Jahre älter als Remarque, ließ unberücksichtigt, dass ein Soldat, der 1917 im jugendlichen Alter von neunzehn Jahren in der Flandernschlacht schwer verwundet wurde, seine »echte Kriegserinnerung« anders reflektierte als vom Gesichtspunkt der »Volkheit«. Der erzählerische Ansatz des individuellen Erlebens war aber mit Neumanns germanistischer Auffassung des »deutschen Lebens« unvereinbar.
Gerade im Begriff des »deutschen Lebens«, den Neumann in seiner Rede ansprach, wurde der Standpunkt deutlich, aus dem heraus Friedrich Neumann als Germanist die Bücherverbrennung als Kampf »wider den undeutschen Geist« für gerechtfertigt hielt. Denn für Neumann hatte die Germanistik in erster Linie eine erzieherische Aufgabe im Aufbau des NS-Staates zu übernehmen. Die Legitimation der Germanistik als Wissenschaft bestand für ihn darin, die in der Dichtung liegenden lebenformenden Elemente für das »deutsche Leben« und die »deutsche Wirklichkeit« als beispielhaft und anstrebenswert herauszuarbeiten. In dieser Instrumentalisierung der Germanistik zum Zwecke der Realisierung einer völkisch-soldatischen Lebensauffassung lag ihre fachimmanente Gleichschaltung an den NS-Staat. Die Wissenschaft wurde hier dem Primat der NS-Ideologie geopfert, wie nicht zuletzt ihre Bezeichnung als »völkische Wissenschaft« offenbarte. Der Vorrang der NS-Ideologie musste folglich den germanistischen Blick auf die deutsche Literatur derart verengen, dass nur noch jene Schriftsteller positiv bewertet wurden, deren literarisches Werk dem nationalsozialistischen Erziehungsideal dienlich war. In Neumanns Worten: »Als feindlich erkennen wir, was auf unsere Volkheit und auf unser persönliches Erleben zersetzend und auflösend wirkt; uns zugehörig ist das, was uns steigert und besser macht.«
Wie seine germanistische Kategorie des »deutschen Lebens« als Kriterium für die aus der Literatur zu gewinnende Steigerung und Besserung der »Volkheit« funktionieren sollte, führte Neumann in einem ebenfalls 1933 gehaltenen Vortrag »Deutsche Dichtung und Deutsche Wirklichkeit« näher aus:
»Auch in Richtung auf unsere kommende Dichtung lautet die gegenwärtige Frage, ob es gelingen wird, am Schicksal gewachsener Lebensläufe eine beispielhafte Lebensform zu entwickeln. Die Dichtung kann nicht eine solche Lebensform willkürlich in das Leben hineinbauen. Sie muß vielmehr das, was im Leben selbst nach seiner ihm zugehörenden Darstellung und Deutung ruft, zu sichtbarem Leben erlösen, so daß sich daran neues Leben in bewußter Form entfalten kann. So bleibt nur noch die Frage, ob denn in diesem Leben selbst eine bewegte Tätigkeit sichtbar wird, die sich zum gültigen Dienste formen will. Ein solches bewegtes Tun, das seinen Sinn ganz in die erzieherische Kraft seiner Bewegung aufnehmen kann, scheint mir allerdings gegeben zu sein. Die echte Arbeit, die von allem Selbstischen losgelöst als Dienst gedient wird, der dem Ganzen gilt, wird eine soldatisch ritterliche und damit deutsch-männliche Wirklichkeit schaffen, in der wir als Volk unsere lebendige urständische Einheit finden werden.«iv
Aus der Sicht einer solchen nicht wissenschaftlichen, sondern ideologischen Grundposition konnte das Werk eines Erich Maria Remarque selbstverständlich nicht bestehen. Zumal es eigentlich auch völlig ohne Belang war, ob Remarques »Kriegserinnerung« nun »echt« war oder nicht. Viel entscheidender war, dass sie nicht »echt« sein durfte. Sie widersprach dem politisch-literarischen Erziehungsideal, wonach eine »Kriegserinnerung« nur dann »echt« war, wenn sie sich von »allem Selbstischen« loslöste und nur noch als »Dienst gedient« wurde, »der dem Ganzen« der »soldatisch-ritterlichen« und »deutsch-männlichen Wirklichkeit« gemäß war. Eine Botschaft, die Neumann in seiner Eröffnungsrede deutlich machte, dass ihm die »symbolische Handlung« einer Bücherverbrennung allein noch nicht ernsthaft genug war. Als befürchtete er, die Studenten würden die angefeindeten Bücher gleich im Anschluss an ihre Verbrennung zu Hause heimlich weiterlesen, mahnte Neumann, »unablässig daran zu arbeiten, daß unser Volk sein gesundes Wachstum behält und seine innere Eigenart vollendet«. Das »Recht, wider den undeutschen Geist zu kämpfen«, wollte er nur dann anerkennen, wenn es auch auf das »akademische Dasein« Anwendung finden würde und zwar in dem Sinne, wie Neumann seine Aufgabe als Universitätsrektor und Germanist verstand: »Unser gesamtes akademisches Dasein muß ein unaufhörliches Bemühen sein, das deutsche Leben dem deutschen Geist zuzuordnen.«

Bis zum Wintersemester 1937/38 blieb Friedrich Neumann Rektor der Göttinger Universität. Er veröffentlichte eine Reihe von Aufsätzen, die jenem akademischen Anspruch gerecht wurden, so Sprache, Volk und Rasse (1939), Soldatenlied, Volkslied (1940) oder Die Lebensauffassung altgermanischen Dichtens (1941). Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde Neumann 1945 seines Lehrstuhls enthoben, jedoch 1949 von den Entnazifizierungsbehörden nur als Mitläufer eingestuft und vom niedersächsischen Kultusministerium in den Wartestand versetzt. Neumann erhielt keinen Lehrstuhl mehr, für einen Lehrstuhl erschien er der Philosophischen Fakultät wie dem Kultusministerium zu belastet durch die NS-Zeit. Trotz der Eingliederung zahlreicher NS-belasteter Professoren in diesem Zeitraum wollte man Neumann mehr als die wirtschaftliche Entlastung nicht zugestehen. 1954 wurde er ordentlich emeritiert, was ihm die Ruhestandsbezüge eines Emeritus einbrachte. Im Ruhestand veröffentlichte Neumann weitere wissenschaftliche Arbeiten zur deutschen Philologie, für die er 1971 die Brüder-Grimm-Medaille der Universität Marburg erhielt. Er starb Ende 1978, fast neunzigjährig, in Göttingen.

Die Rede des Gerhard Fricke
»Nun öffnet sich vor dem braunen Heer der Blick auf das eroberte Land«.

Im Anschluss an Friedrich Neumanns Eröffnungsrede sprach der Privatdozent Dr. Gerhard Fricke. Seit 1931 lehrte Fricke deutsche Sprache und Literatur in Göttingen. Er war ursprünglich nicht Germanist, sondern hatte zunächst Theologie und Philosophie studiert und 1925 im Fach Theologie seine erste Promotion absolviert.
Die Feuerrede Gerhard Frickes war in Inhalt und Aufbau primär geprägt durch seinen theologischen Hintergrund. Die Rhetorik, mit der er die Bücherverbrennung geradewegs zu einem nationalen Heilsgeschehen zu stilisieren versuchte, war weniger die eines Philologen, als vielmehr jene eines schon im Elternhaus geschulten Predigers, der auf die Metaphorik der Bibel zurück greift: »Mit der Übernahme der äußeren Macht hat der Nationalsozialismus gleichsam nur den letzten Grenzgipfel erstiegen. Nun öffnet sich vor dem braunen Heer der Blick auf das eroberte Land [...]« Fricke schöpfte aus allem, was öffentliche Verbrennungsrituale an Symbolik zu bieten hatten. Er sprach von »Erneuerung«, »Wiedererweckung«, »den Kräften der Wiedergeburt« und über das »alte Symbol der Reinigung und Verjüngung«. Das christliche Motiv der Läuterung überführte Fricke gar in eine trinitarische Gliederung, die den roten Faden seiner weiteren Rede bildete: »Ein Dreifaches bewegt uns, wenn heute Nacht wie vielerorts so auch inmitten der Göttinger Studentenschaft der Flammenstoß emporleuchtet zu den Sternen: ein Gefühl der Schuld, – ein Gefühl der Befreiung – und ein Gefühl höchster Verpflichtung.«
Aus dem »Gefühl der Schuld« entwickelte Fricke eine Art Selbstgeißelung der Hochschullehrer: »Denn müssen wir nicht bekennen voller Scham: wir sind es ja gewesen, die es soweit kommen ließen, daß dieser gewaltsame Akt der Vernichtung des undeutschen Geistes notwendig wurde! Wir haben diesen undeutschen Geist aufkommen lassen, geduldet, womöglich gefördert!«
Aus diesem Bekenntnis, das die Notwendigkeit des »gewaltsamen Aktes der Vernichtung« mit eigener Schuld rechtfertigte, entwickelte Fricke seine ganz persönliche Stellungnahme zur Bücherverbrennung. Unter dem rhetorischen Predigergewand kam plötzlich der Germanist Fricke im Büßerhemd zum Vorschein, der Abbitte leistete: »Ich empfinde lebhaft die tiefe Zweideutigkeit der Situation, in der ich mich hier befinde. Scheint es doch ein bestechend einfaches Verfahren, wenn nun der Literaturhistoriker das Material, das ihm mißfällt, verbrennt. Aber ich empfinde diese Zweideutigkeit fast als eine Art strafende Gerechtigkeit, – denn unsere, der deutschen Philologen, Pflicht wäre es ja vor allem gewesen, unbestechlichen Urteils und reinen Gefühls zu wachen über den deutschen Geist des deutschen Schrifttums, darüber, daß die deutsche Sprache nicht von unsauberen Händen zu unsauberen Zwecken erniedrigt wurde.«
Diese Bußfertigkeit, mit der Fricke im Instrument des Scheiterhaufens zugleich eine »strafende Gerechtigkeit« für seine, des »deutschen Philologen« Pflichtvergessenheit sah, war nicht gerade von besonderem Opfermut beseelt. Schließlich hatte Fricke an jenem Abend gewiss nicht die Absicht, selbst den Scheiterhaufen zu besteigen. Vielmehr war sein Bemühen, eine germanistisch fundierte Rechtfertigung dafür zu liefern, die Werke ideologisch angefeindeter Schriftsteller auf den Scheiterhaufen zu werfen. Dazu tauschte Fricke sein Büßerhemd gegen die Rüstung des Germanisten als Wächter »über den deutschen Geist des deutschen Schrifttums« und holte aus zu einer hasserfüllten verbalen Attacke: »Wie sah es denn aus bei uns? Widerstandslos hatten wir zugesehen, wie von allen Seiten eine Invasion fremden Geistes, undeutscher und widerdeutscher Anschauungen über uns hereinbrach, wie im Inland, gestützt auf die Allmacht meist jüdischer Buch- und Zeitungsfabriken, eine dünne Schicht geschäftiger Literaten, physisch heimatlos nomadisierend, geistig noch am ehesten in Paris oder Wien oder Warschau zu Hause, – wie diese dünne Schicht die Lähmung des deutschen Geistes nach der großen Katastrophe ausnutzte, um sie zu verewigen, um jenen Nebel zu erzeugen, in dem alle Begriffe vertauscht, alle gesunden, natürlichen und reinen Gefühle verächtlich wurden, in dem jede geistige und moralische Orientierung verloren gehen mußte. Was in Chaos von 1918 heraufgespült war, die Hefe und der Bodensatz, das hielt sich mit hundert Polypenarmen an der Oberfläche fest und sorgte für die dauernde Trübung des Volksbewußtseins.«
Dieses Heraufbeschwören einer nationalen Bedrohung durch den militärischen Begriff »Invasion« diente der Erzeugung einer kollektiven Angst vor dem Fremden. Jedoch meinte Fricke mit seiner völkischen Abgrenzung gegen das Fremde nicht in erster Linie eine drohende »Invasion« von außen. Vielmehr säte er die Angst erzeugende Aggression gegen das Fremde im Innersten des deutschen Kulturlebens, indem er insbesondere den jüdischen Verlegern – »jüdische Buch- und Zeitungsfabriken« – und den jüdischen Schriftstellern – »geschäftige Literaten« – unterstellte mit ihren Werken einem Feind zu dienen. Frickes antisemitische Hetzrede, deren Intention schon im Urteil »physisch heimatlos nomadisierend« deutlich wurde, nahm im Weiteren immer boshaftere Formen an: »[...] – es ist ganz gleichgültig, ob sie Zweig oder Baum, Tucholsky oder Cohn hießen – es gab auch Deutsche darunter, und die waren zuweilen die schlimmsten, – diese Wolke von Insekten, die sich auf dem Rücken des zerschundenen und ohnmächtigen Deutschland niederließen, sie gebärdeten sich so respekterregend vorurteilslos, aber es war die Vorurteilslosigkeit der Gemeinheit, des zum Grundsatz erhobenen inneren Schweinehundes.«
»Es gab auch Deutsche darunter« reduzierte alle anderen angefeindeten deutschen Schriftsteller auf ihre jüdische Herkunft. Ihre menschenverachtende Gleichsetzung mit einer »Wolke von Insekten« und mit »hundert Polypenarmen« diente der Erzeugung eines Opferbildes, in dem ein »zerschundenes« Deutschland diesen jüdischen Schriftstellern »ohnmächtig« ausgeliefert sein sollte. Daran schloss Frickes unverhohlene Drohung an, dass dort, »wo die Brunnenkräfte unserer völkischen Gesundheit vergiftet und geschwächt« würden, man »keinen Pardon mehr« kenne. Fricke griff ein bekanntes Klischee des christlich-mittelalterlichen Antisemitismus auf, um es im Vokabular des rassistischen Antisemitismus zu verankern. Wurden im Mittelalter die Juden des Brunnenvergiftens bezichtigt, klagte er sie nun als Vergifter der »Brunnenkräfte unserer völkischen Gesundheit« an. Diese Sprache, in der sich die Täter in eine Hass schürende Opferrolle hineinsteigerten und in der ein Feindbild aufgebaut wurde, das Menschen nur noch als »Wolke von Insekten« bezeichnete – diese Sprache war das Medium, mit dem sich Pogrome schüren ließen.
Es waren nur wenige Wochen vergangen, seit am 28. März ein tobender Nazi-Mob durch die Straßen Göttingens gezogen war, die Schaufensterscheiben jüdischer Geschäftsleute einschlug, die Synagoge in der Maschstraße stürmte, ihre Buntglasfenster und die Einrichtung zerstörte und schließlich drei jüdische Bürger zwang, sich auf einem Schlachterwagen durch die geifernde Menschenmenge fahren zu lassenv. Gerhard Fricke wird gewusst haben, welche Taten er durch seine Rede entfesseln konnte. Durch den Vergleich jüdischer Schriftsteller mit einer Insektenplage sorgte er für das nötige Maß an Hemmungslosigkeit, das für den Akt der Bücherverbrennung notwendig schien. Diese Absicht Frickes zeigte sich auch darin, den Werken der angefeindeten Schriftsteller ihren Rang als Kultur abzusprechen und ihre Bücher nicht mehr Bücher, sondern »Schutt und Unrat« zu nennen. Man solle sich nicht durch den Zwischenruf irre machen lassen, man zerstöre Kultur, sagte Fricke. Und an jene Zuhörer, die vielleicht noch Zweifel hatten, ob man auf dem Scheiterhaufen nicht doch Kultur zerstöre, richtete er die rhetorische Frage: »Gibt es nicht genug Ernstzunehmendes, Hochstehendes, Künstlerisches, Dinge, die vielleicht undeutsch sind, die aber bestimmt Geist haben?« Und Frickes Antwort ließ tief blicken. – Er sagte: »Umso schlimmer, wenn sie Geist haben!«

Das »Gefühl der Befreiung«, das zweite von Frickes drei Elementen, entsprang dem Akt der Bücherverbrennung selbst. Die gewaltsame Dimension dieses Vorgangs war Fricke nicht nur bewusst – er hatte sie selbst in seinem Sprachgebrauch konstitutiv werden lassen: »Dem Nationalsozialismus ist der Anspruch auf Totalität eingeboren. Er muß um seiner Mission willen von jener überpersönlichen, sachlichen, unbeugsamen Intoleranz sein, die von jeher aus dem großen Glauben an einen objektiven und erlebten Sinn entsprang.« Fricke bekannte sich nicht nur offen zur Intoleranz, sondern hielt die Gewalt, ja die »gewaltsame Vernichtung«, für eine notwendige Pflicht: »Wir haben uns zu tief in das Fremde eingefühlt, zu sehr die instinktive Sicherheit des völkischen Gefühls verloren, als daß wir uns nicht durch einen Gewaltakt befreien und zu uns zurückfinden müßten.«
Mit seinem Vorredner Friedrich Neumann stimmte Fricke darin überein, dass der Akt der Bücherverbrennung allein noch nicht hinreichend wäre, um der national orientierten Literatur zum Durchbruch zu verhelfen. Daher sollte mit der Bücherverbrennung als drittes Element seines Schemas ein »Gefühl höchster Verpflichtung« einhergehen: »Wir haben nur eine Pflicht: uns erfüllen zu lassen mit den Kräften des erwachten völkischen Lebens.«

Der Germanist Albrecht Schöne hat 1983 in seiner veröffentlichten Gedenkrede über die Göttinger Bücherverbrennung den formelhaften Charakter dieser völkischen Pflichtvorstellung Frickes als eine »Flucht vor der Anstrengung des Begriffs in die geistige Unmündigkeit« beschriebenvi. Diese Beurteilung bringt sehr trefflich die sprachliche Untrefflichkeit zum Ausdruck, mit der Fricke – und mit ihm fast eine ganze Generation – die Bedeutung des Wortes »Pflicht« umdefinierte. Ein Rest von aufklärerischem Geist hätte daran erinnern können, dass der Pflichtbegriff von jeher unaufkündbar mit der sittlichen Verantwortung des Einzelnen verbunden ist. Indem Fricke jedoch alles in seine Worthülsen von den »Kräften des erwachten völkischen Lebens« hineinverlegte, blieb von der Pflicht des Einzelnen nichts anderes mehr übrig, als sich in der sittlichen Passivität des »Wir« von diesen Kräften »erfüllen« zu lassen. Fricke sprach von einem »Gefühl höchster Verpflichtung« und meinte blinden Gehorsam; er sprach von einem »Gefühl der Befreiung« und meinte die Rückkehr des Menschen in seine voraufklärerische Unmündigkeit; er sprach von einem »Gefühl der Schuld« und meinte geistige Intoleranz und aggressiven Rassenhass.
1934 wurde Gerhard Fricke außerordentlicher Professor an der Berliner Universität. Im selben Jahr erhielt er einen Ruf als ordentlicher Professor an die Universität Kiel. Ab 1941 lehrte er in Tübingen und der Reichsuniversität Straßburg. Eine Reihenfolge, die dem Kundigen anzeigt, dass Fricke sich besonderer Protektion durch die NS-Hochschulverwaltung erfreute und bereit war, an den Kampfuniversitäten der Nazis zu lehren. Fricke verfasste eine Reihe germanistischer Aufsätze, die er 1943 als Sammelband unter dem Titel Vollendung und Aufbruch veröffentlichte. Der Germanist und Historiker Ulrich Hunger charakterisiert Frickes Reden und Aufsätze aus der NS-Zeit als eine bedrückende »Verquickung von literatur-wissenschaftlicher Brillanz und ideologischem Fanatismus [...]«.vii Nach Kriegsende wich Fricke 1950 an die Universität in Istanbul aus, kehrte aber wieder nach Deutschland zurück, wo er ab 1957 an der Wirtschaftshochschule in Mannheim lehrte. 1960 folgte Fricke einem Ruf an die Universität Köln, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1966 lehrte.
Als Fricke 1965 seine Göttinger Brandrede noch einmal vorgelegt wurde, erklärte er, diese Ansprache nur nach wiederholter Aufforderung und mit Widerwillen übernommen zu haben, da »sonst unverantwortliche Personen sich dieser Sache« bemächtigt hättenviii. Auf diese Rechtfertigung hätte man Fricke fragen müssen, wie man seine Rede denn noch unverantwortlicher hätte halten können. Frickes Haltung zu seiner schuldhaften NS-Vergangenheit und insbesondere zu seiner Rolle bei der Bücherverbrennung wird heute unterschiedlich bewertet. Albrecht Schöne, der mit Kritik an Gerhard Frickes Brandrede nicht spart, erwähnt in einer Fußnote, dass Fricke seine NS-Vergangenheit »als eine nicht wieder gutzumachende Verschuldung empfunden« habe, an der er bis zu seinem Lebensende sehr gelitten haben sollix. Sicherlich ist Schöne darin beizupflichten, dass Frickes öffentliches Schuldbekenntnis vor seinen Studenten in Köln von »ungewöhnlicher Aufrichtigkeit« warx. Jedoch muss Schöne entgegengehalten werden, der im Haupttext angeklagten Täterschaft Frickes in der Fußnote allzu schnell wieder Absolution erteilt zu haben. Die Konsequenz nämlich, mit der Fricke in seiner Rede zur Bücherverbrennung von einem »Gefühl der Schuld« auf ein »Gefühl der Verpflichtung« schloss, hat ihm nach 1945 im Sinne seiner literaturwissenschaftlichen Verpflichtung gefehlt. Als publikumswirksamer Germanist hätte Fricke dazu beitragen können, die 1933 von ihm dem Scheiterhaufen preisgegebenen Schriftsteller wenigstens noch einmal zu würdigen. In seinem 1949 erstmals erschienenen Werk Geschichte der deutschen Dichtung, das im Jahr seiner Emeritierung in zwölfter Auflage vorlag und lange als Lehrbuch an Schulen und Hochschulen genutzt wurde, hätte Fricke sogar reichlich Gelegenheit gehabt, die verbrannten Bücher und vertriebenen Autoren wieder einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Doch sein Buch blieb Auflage für Auflage ein einziges Zeugnis der Verdrängung, bis schließlich in der zehnten Auflage von 1964 Frickes jüngerer Fachkollege Volker Klotz die längst überfällige Aufgabe übernahm, als Koautor die immer breiter klaffende Lücke vom Expressionismus bis zur Gegenwartsliteratur zu füllen.

Der Scheiterhaufen vor der Albanischule
Sobald mit der Veranstaltung im Auditorium maximum der bevorstehende Verbrennungsakt seine akademischen Weihen erhalten hatte, zog die Studentenschaft zum Ort des Geschehens. Das Göttinger Tageblatt berichtete:
»Am Nikolausberger Weg ordnen sich die studentischen Gruppen und Korporationen zum Fackelzug. Vom Weender Tor bis weit über die Goßlerstrasse hinauf setzt sich Viererreihe hinter Viererreihe, beste deutsche Jugend, die das Erbe der Toten von Langemarck gegen die giftige Zersetzung eines feindlich-fremden Ungeistes wahren will. Das Braun der SA.- und SS.-Studenten beherrscht das lebensvolle Bild. Daneben sieht man das Grau der Hochschulgruppe des Bundes der Frontsoldaten, die im Stahlhelm angetreten ist, und dann die schier endlosen Reihen der Korporationsstudenten in bunten Mützen und Bändern, deren Farben im ungewiß flackernden Lichte der Fackeln hell aufleuchten. Dichte Zuschauerketten säumen die Bürgersteige, und als nun die Kundgebung im Auditorium ihr Ende gefunden hat und die Hunderten der Teilnehmer herausströmen, um sich dem Zuge einzuordnen, scheint es, als ob trotz der späten Stunde die halbe Stadt auf den Beinen sei, um Zeuge der historischen Aktion zu werden. Ein Trompetensignal gibt das Zeichen zum Beginn des Fackelzuges, die SS.-Kapelle intoniert einen Marsch, und unter Vorantritt der Hakenkreuzfahne des Sturmes 4/82, des Studentensturmes, zieht die akademische Jugend Göttingens durch die Straßen der Innenstadt hinauf zum Platz vor der Albanischule.«
Dort war schon in den Nachmittagsstunden der Scheiterhaufen errichtet worden. Zunächst hatte man einen Holzstoß aufgeschichtet und dann die Bücher, Zeitschriften, Broschüren und Zeitungen darüber geworfen, bis ein großer Haufen gebildet war. Aus der Spitze ragte ein Stock heraus, an dem ein Schild angebracht wurde. Darauf stand in großen Buchstaben der Name Lenin. Als der Fackelzug auf dem damaligen Adolf-Hitler-Platz, dem heutigen Albaniplatz, vor der Albanischule eintraf, wurde der Scheiterhaufen angezündet. Vor den brennenden Büchern hielt der Führer der Studentenschaft, Heinz Wolff, eine kurze Rede: Der Begriff des »undeutschen Geistes « sei nicht klar durch den Verstand zu erfassen. Dies zu erklären sei auch nicht notwendig. Die »Aktion wider den undeutschen Geist« dahingehend zu hinterfragen, was denn genau unter der Bezeichnung »undeutsch« zu verstehen sei, wäre nämlich eine »sophistische Frage«. Schließlich habe man »14 Jahre lang all das jüdische Literatentum erlebt«. Die neun Feuersprüche rief Wolff nicht wörtlich aus, weil der Göttinger Studentenschaft daran gelegen war, nicht allein die angefeindeten Schriftsteller zu nennen, sondern ihnen die Namen der Autoren gegenüberzustellen, deren Werke man im Sinne der NS-Ideologie als »positiv« betrachtete. Zu den Vertretern dieser »positiven« Literatur zählten nach Wolffs Angaben die Autoren Adolf Hitler, Friedrich Lienhard, Ernst Krieck, Arthur Moeller van den Bruck, Hanns Johst und Otto Erler. Nach der Rede von Heinz Wolff wurde das Lied Flamme empor angestimmt, ein 1814 von Johann Gottfried Christian Nonne verfasstes Gedenklied auf die so genannte Völkerschlacht von Leipzig. Nach dem Absingen des Horst-Wessel-Liedes und des Deutschlandliedes löste sich die Menschenmenge auf dem Platz vor der Albanischule auf.

Friedrich Neumann und Gerhard Fricke verloren 1945 ihre Lehrstühle, erfuhren jedoch keine dauerhaften Nachteile, materiell waren sie sehr bald besser gestellt als viele der von ihnen verfolgten Schriftsteller. Noch deutlicher als bei Fricke, der nur eine sehr kurze Unterbrechung seiner Hochschullehrertätigkeit hinnehmen muss, vollzieht sich die Karriere von Heinz Wolff fast bruchlosxi. Nach seiner Promotion verlässt er 1935 Göttingen und übernimmt die Schriftleitung der NS-Studentenzeitung „Der deutsche Student“. 1937 wird er Leiter des Studentenwerks in Göttingen und 1939 wechselt er in die Reichsstudentenführung nach Berlin. Propaganda für das nationalsozialistische Deutschland bleibt in weiteren Stationen sein Berufsinhalt. Das Kriegsende erlebt er als Gaupropagandaleiter in Salzburg, stets belobigt von höheren Parteidienststellen. Seine Rückkehr in das demokratische Leben der Nachkriegszeit gestaltete sich zunächst schwierig. Aus dem Kriegsverbrecherlager Ludwigsburg hilft ihm ein Persilschein. Als in der frühen Bundesrepublik die Rehabilitierung nationalsozialistischer Funktionsträger beginnt, kann auch Heinz Wolff wieder als Journalist arbeiten. Er bringt es von 1950 bis 1975 vom Redakteur bis zum stellvertretenden Chefredakteur der Westdeutschen Zeitung in Wuppertal. Während seiner Berufszeit bleibt seine NS-Vergangenheit unentdeckt, erst als er 1976 zum Sprecher des Deutschen Presserates gewählt wird, gerät er ins Visier des SPIEGEL. Schon nach drei Tagen erfolgt sein Rücktritt. In Wuppertal bleibt er weiterhin ein vielfach geehrter Bürger. Im Jahr 2000 wird erstmals einer weiteren Ehrung für Wolff widersprochen.

Der Text wurde uns freundlicherweise von Werner Treß und Klaus Wettig zur Verfügung gestellt. Vielen Dank.







Verbrannte Orte