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Flensburg - Exe

30. Mai 1933 , Kleine Exe
Historische Adresse: auf der Exe
Begleitet von den pathetischen Worten und theatralen Gesten des Schauspielers Ferdinand Schröder verbrannte der „Kampfbund für deutsche Kultur“ die Bücher verfolgter Autor*innen.

Die Bücherverbrennungen in Flensburg

Von Bernd Philipsen

Seinen größten Auftritt hatte der Schauspieler und Spielleiter Ferdinand Schröder abends unter freiem Himmel und angesichts lodernder Bücherstapel. Als langjährigem Ensemblemitglied des Flensburger Theaters war es ihm nie vergönnt, sich sonderlich hervorzutun, doch an diesem Abend beschwor er vor einem großen, ihm zugetanen Publikum mit theatralischen Gesten und pathetischen Worten die Ziele der Kulturpolitik der neuen Machthaber. Der Bühnenkünstler Ferdinand Schröder (1879-1937) stand dem örtlichen Kampfbund für deutsche Kultur vor und war Initiator und Dramaturg der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933 auf dem Versammlungs und Festplatz „Exe“ am Rande der Flensburger Innenstadt.1 Die Hauptrolle übernahm er selbst: Er hielt die „Brandrede“.

Diesem spektakulären „Fegefeuer undeutscher Literatur“auf der „Exe war etwa zwei Monate zuvor eine Bücherverbrennung vorausgegangen, die von Heißspornen aus den Reihen der Hitlerjugend entfacht worden war.2 Sie drangen am 20. März 1933 gewaltsam in das städtische „Jugendheim am Nordertor“ ein und besetzten das Haus. Die Jugendgruppe „sang einige Lieder nach einer Ansprache des Bannführers und entfernte aus dem Jugendheim [...] sämtliche marxistischen Zeitungen“.3 Diese Druckschriften sowie weitere „nichtnationalsozialistische Literatur“ wurden anschließend öffentlich auf dem Nordertorplatz verbrannt. Am Tag darauf stellte die Hitleriugend im Rathaus den Antrag, ihr als „stärkster Jugendbewegung“ in der Stadt das Heim zur alleinigen Nutzung zu überlassen.4

Anfang Mai 1933 hatte sich eine Flensburger Ortsgruppe des Kampfbundes für deutsche Kultur (KfdK) konstituiert, „um zu retten und wieder zu erwecken, was durch den Zerfall des letzten Jahrzehnts am meisten gefährdet war: Deutsches Seelentum und sein Ausdruck im schaffenden Leben, in Kunst und Wissen, Recht und Erziehung, in geistigen und charakterlichen Werten.“5 Der Aufruf richtete sich an „alle Männer und Frauen Flensburgs [..], denen die Wiedergeburt deutscher Kultur am Herzen liegt, in die Reihen des Kampfbundes für deutsche Kultur zu treten, jeder in der Form, die ihm möglich ist: als Mitglied des Bundes, als Spender oder als beratender und fördernder Freund, um ihm zu helfen, sein hohes Ziel zu erreichen.“ Ferdinand Schröder, Schauspieler am Stadttheater, avancierte zum KfdK Ortsgruppenleiter, Egon Rüchel, ein Architekt, übernahm die Geschäftsführung des Kampfbundes, der für seine Agitationsarbeit vier Abteilungen gebildet und mit Protagonisten besetzt hatte: 1. Handwerk, bildende Kunst, Architektur und Technik, 2. Wissenschaft und Schrifttum, 3. Theater und Film, 4. Musik. Eine erste Mitgliedsliste liest sich wie ein Whos Who der Flensburger Elite. Da finden sich der Museumsleiter, der Kraftwerksdirektor, der Geschäftsführer der Handwerkskammer, Ärzte, Studienräte, Juristen, Kirchenmänner und Künstler.

Der Kampfbund war bereits kurz vor der Gründung einer eigenen Ortsgruppe als Mitinitiator und Unterstützer an „Kampfmaßnahmen gegen minderwertige Literatur“6 in Flensburg beteiligt. Am 29.4. 1933 wurden laut Bericht der Flensburger Nachrichten „auf Anregung des Nationalsozialistischen Studentenbundes, der Fachschulgruppe Flensburg und des Kampfbundes für deutsche Kultur sämtliche Buchhandlungen und Büchereien in Flensburg von SA-Leuten besetzt‘, die sich als Zensoren gerierten: „Es wurde eine genaue Ueberprüfung der Bestände vorgenommen. Die Bücher, die 1. von Autoren stammen, die sich an der Greuelhetze gegen Deutschland beteiligt haben, 2. Bücher erotischen Inhalts, 3. antichristliche Literatur und 4. sogenannte Aufklärungsschriften über sexuelle Fragen, wurden von den SA-Leuten sichergestellt.“ Die Aktion, von der auch die privaten Leihbüchereien betroffen waren, sei „durchweg ruhig [verlaufen], zumal ein großer Teil der Geschäftsinhaber erklärte, daß sie selber ein Interesse an der Unterdrükkung des Handels mit minderwertiger Literatur hätten‘. Für die „nächsten Tage“ wurde ein Aufruf an die Bevölkerung angekündigt, „Bücher des vorher bezeichneten minderwertigen Inhalts abzuliefern“. Denn: „Diese Bücher sollen dann öffentlich verbrannt werden.“7

Die Bestände der städtischen Bibliothek wurden anhand der NS-amtlichen „Schwarzen Liste“ durchforstet und zahlreiche Bände aussortiert. Die Büchereikommission gab in ihrer Sitzung am 10.5.1933 ihr Einverständnis dafür, dass diese Bücher „zu vernichten“ seien. Bibliotheksleiter Dr, Franz Schriewer trug im Laufe der Kommissionssitzung seine eindringliche, schließlich aber vergebliche Bitte vor, „von einer öffentl. Verbrennung abzusehen, um die Öffentliche Bücherei nicht zu mißkreditieren“8 Mit Schreiben vom 30.5.1933 teilte ihm das Stadtschulamt mit, dass „die für eine Vernichtung bestimmten Bücher der Städtischen Öffentlichen Bücherei [...] heute durch einen Boten bei Ihnen abgefordert werden“.9 Schriewer, in den Augen der Nationalsozialisten in Flensburg politisch untragbar, wurde bald darauf abgelöst und von einem linientreuen Büchereileiter ersetzt. Ohne Mitglied der NSDAP zu sein und „politischen Denunziationen und ehrverletzenden Beschuldigungen zum Trotz” bewarb er sich mit Erfolg nach Frankfurt/Oder, um dort die Stelle des Stadtbibliothekars zu übernehmen.10

Mit Blick auf die Bücherverbrennung selbst konnten die Agitatoren vom Kampfbund auf publizistische Unterstützung bauen. Die Flensburger Nachrichten - mit einer Auflage von 18.000 Exemplaren das meistgelesene Blatt in Flensburg und Umgebung -, der Flensburger Generalanzeiger - laut Untertitel eine „Parteifreie Tageszeitung“ - und das nationalsozialistische Kampfblatt Flensburger NS-Zeitung begleiteten die Aktion wohlwollend. Die dänischsprachige Zeitung Flensborg Avis und das deutschsprachige Blatt Der Schleswiger - zwei Zeitungen der dänischen Minderheit - hielten sich in der Berichterstattung über die Bücherverbrennung und weitere Aktivitäten des Kampfbundes auffallend zurück und beließen es bei meist knappen Sachinformationen.11

Gleichzeitig und mit gleichlautenden Texten, vermutlich einer Pressemitteilung des Kampfbundes für deutsche Kultur, informierten die Flensburger Nachrichten und der Flensburger General-Anzeiger am 30.5.1933 ihre Leser über Hindergrund und geplanten Ablauf der „Verbrennung der Schmutzund Schundliteratur“ auf der „Exe“.12 Die Bücherverbrennung sei nur „eine Teilaktion und ein Symbol des jungen Deutschlands: Kampf dem Schmutz und Schund, Kampf der Klassenverhetzung, Kampf dem jüdischen Autor, der mit unwahren Schilderungen den klaren Blick unserer Volksgenossen trüben will, um dann in diesem trüben Wasser seinen finanziellen Vorteil zu ziehen“. Die demonstrative Verbrennung von aussortierten Schriften und Büchern werde voraussichtlich einige Stunden dauern, heißt es weiter in den Vorberichten. Und: „Es sollte niemand, dem es mit der geistigen Erneuerung unseres Volkes ernst ist, versäumen, die Handlung anzusehen.“

Es ist nicht genau überliefert, wie viele Menschen diesem Aufruf tatsächlich gefolgt sind. Eine Zahl wird in keinem der Berichte über die abendliche Aktion genannt. Die Flensburger Nachrichten sprechen von einer „zahlreiche[n] Zuschauermenge“ und davon, dass „der Feuerplatz [...] von einer dichten Menge umgeben“ war.13 Der Flensburger General-Anzeiger wird da schon etwas deutlicher, wenn er schreibt: „Verschiedene Umstände trugen dazu bei, daß die gestrige Verbrennung artfremder, volksfeindlicher Bücher, Zeitschriften und Zeitungen sich in kleinerem Rahmen vollzog, als es erwünscht war. Als Folge der regnerischen Witterung, des Verzichtes auf eine straffe Erfassung aller Bevölkerungskreise und eine fesselnde Umrahmung der symbolischen Handlung war die Teilnehmerzahl nicht entfernt so groß, als sie einer Stadt wie Flensburg zukäme.“14 Aus diesen Bemerkungen lässt sich der Schluss ziehen, dass die Zahl der Zuschauer wohl deutlich hinter den hochgesteckten Erwartungen der Initiatoren zurückgeblieben war.

Mit Ausnahme der beiden dänisch-orientierten Zeitungen, die auf eine Nachberichterstattung verzichteten, widmeten sich die Lokalzeitungen meist in einem Ton des Zuspruchs und der Ermunterung der Bücherverbrennung auf der „Exe“. Diese Aktion bedeutete aus der Sicht der Flensburger Nachrichten „für alle nationalen Volksgenossen einen Aufruf [...], nunmehr mitzuschaffen und aufzubauen, das wirkliche deutschkulturelle Wesen von der Asche des Minderwertigen zu reinigen.“15 Gewürdigt wird, dass

„auch in Flensburg [...] die NSDAP rechtzeitig mit dieser Reinigungs-Aktion begonnen und viele Zentner verräterischen Materials für die Verbrennung sichergestellt [hatte]. Ueber 3 Stunden brannte gestern abend der Scheiterhaufen, dem vier große Lasten Papier reichlich Nahrung gaben. Eine lange dunkle Rauchwolke zog sich in den grauen Himmel. Hell züngelten die Flammen, in denen Bücher, Schriften, Transparente und kommunistische Fahnen zu Staub und Asche wurden. Es lag eine Weihe über dem ganzen Bild, die Pg. Ferdinand Schröder in treffende Worte zu kleiden wußte.“

Der Kampfbundvorsitzende wird mit den Worten zitiert, dass

„in diesen Flammen [...] der Geist verbrannt [werde], der Deutschland in den letzten Jahren vergiftet habe. Sauberkeit und Ehrlichkeit solle fortan in den Bücherschränken der deutschen Volksgenossen herrschen. Es solle vermieden werden, daß solche volksfeindlichen Bücher in Uebersetzungen ins Ausland kämen, wo sie nur den Ruf des deutschen Vaterlandes untergraben würden. Das deutsche Schrifttum sei von einem tiefen Glauben beseelt und schildere das wahre Geschehen deutscher Kultur. An diesem Geist solle die Welt genesen!“16

Der Flensburger General-Anzeiger äußert die Hoffnung, dass sich die Bücherverbrennung als „sinnbildlicher Vorgang dem Herzen so tief als möglich [einpräge], damit er sich fruchtbar auswirke. Denn auf die Auswirkung, auf die geistige Haltung der Volksgenossen gegenüber dem Artfremden kommt es an.“ Kampfbundleiter Schröder „wies mit markigen Worten auf die Notwendigkeit der Verbrennung und auf die Pflicht aller Volksgenossen hin, bei dem Abwehrkampfe gegen alles Volksfremde tatkräftig mitzuhelfen.“17 „Endlich war auch für Flensburg der Tag gekommen, an dem die deutschbewußte Bevölkerung sich zu einem symbolischen Akt zusammenfand, der durch Verbrennen riesiger Stapel undeutscher Schriften und Bücher um deutschen Geist werben sollte", freut sich die Flensburger NS-Zeitung. Vernichtet worden seien mehrere „Dreckhaufen” von Schundliteratur,

„mit der Juden und Marxisten bewußt unser Volkstum zersetzen wollten, marxistische Zeitungen, deren Spalten mit Lügen und Gemeinheiten angefüllt waren, um einen Nebeldunst um die Gehirne ihrer gläubigen Leser zu legen, und Zeitschriften mit zotigem Inhalt wurden auf den Richtstätten des undeutschen Geistes verbrannt. [...) Buch um Buch, Zeitungen um Zeitungen [...] - unwürdig des Lebens, würdig aber des Verbrennungstodes.“18

Das NS-Kampfblatt warnte zugleich davor zu glauben,

„daß mit der Verbrennung schon der undeutsche Geist vernichtet sei. Wer Unwerte endgültig niederreißen will, muß neue Werte aufbauen, auch wenn es ein mühsames Werk ist. Und so wollen wir denn Schritt für Schritt in alle Gebiete des öffentlichen Lebens den neuen Geist des Nationalsozialismus hineintragen, der das Volk an die Wurzeln seines Daseins zurückführen und dem deutschen Menschen wieder ein eigenes Gesicht und einen eigenen Charakter geben will.“

Die einzigen bisher bekannten Fotodokumente von der Bücherverbrennung in Flensburg stammen aus den Flensburger Illustrierten Nachrichten, einer wöchentlichen Beilage der Flensburger Nachrichten. Drei Wochen nach dem Ereignis veröffentlichte sie unter der Schlagzeile „Kampf dem Schmutz und Schund“ eine Bildreportage mit Fotos vom Hauptredner Ferdinand Schröder, dem „Scheiterhaufen der undeutschen Literatur“ und einer der Vernichtung preisgegebenen Fahne mit den drei Pfeilen der Eisernen Front.19 Dabei handelte es sich möglicherweise um ein „Beutestück“ aus dem Gewerkschaftshaus, das am 2.5.1933 von der SA gestürmt und besetzt worden war.20

Dieser Text wurde uns von Bernd Philipsen zur Verfügung gestellt. Er erschien zuerst im Sammelband des Olms Verlags.

  • 1. Der gebürtige Hamburger Schauspieler und Spielleiter Ferdinand Schröder hatte um 1920 seine ersten Engagements am Flensburger Theater, dem er von der Spielzeit 1925/26 an als festes Ensemblemitglied angehörte. Er wirkte an Schauspielen und auch Operetten mit. 1936 wurde er von der NS-Kulturgemeinde feierlich in den Ruhestand verabschiedet.
  • 2. „Fegefeuer undeutscher Literatur‘; in: Flensburger Nachrichten vom 31.5.1933.
  • 3. Meldung in: Flensburger Nachrichten vom 20.3.1933.
  • 4. Vgl. Flensburg in der Zeit des Nationalsozialismus. Schriften der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte, Band 32, Flensburg 1983, S. 126
  • 5. „Aufruf!“ (Anzeige des Kampfbundes für deutsche Kultur, Ortsgruppe Flensburg), in: Flensburger Nachrichten vom 13.5.1933; gleichlautender Bericht in: Flensburger NSZeitung vom 13.5.1933.
  • 6. „Kampfmaßnahmen gegen minderwertige Literatur‘, in: Flensburger Nachrichten vom 2.5.1933.
  • 7. Ebd.
  • 8. Protokoll von Sitzungen der Bücherei-Kommission 1930-1937, in: Stadtarchiv Flensburg IVB14.
  • 9. Allgemeine Büchereiangelegenheiten, in: Stadtarchiv Flensburg IV B 1.
  • 10. Albrecht, Dietmar: Schriewer, Franz Wilhelm Heinrich, in: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Band 8, Neumünster 1987, S. 325; Schartl, Matthias: Flensburger Kulturleben in der Nachkriegszeit, in: Lange Schatten, Flensburger Beiträge zur Zeitgeschichte, Band 5, Flensburg 2000, S. 260f.
  • 11. Göhring, Mario: Von Zeitungsverboten, Gleichschaltung und dem „Kampf um die Leserschaft“. Methoden der „Nazifizierung“ der Presse zwischen 1930 und 1934 am Beispiel ausgewählter Zeitungen aus Kiel, Lübeck und Flensburg, Magisterarbeit der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 1994, S. 137ff.
  • 12. „Der Kampfbund für deutsche Kultur‘, in: Flensburger Nachrichten vom 30.5. 1933; „Gegen Schund und Schmutz‘, in: Flensburger General-Anzeiger vom 30.5.1933.
  • 13. Siehe Anm. 2.
  • 14. Die Stadt hatte „Die Flamme lodert!“, in: Flensburger General-Anzeiger vom 31.5.1933. - Die seinerzeit rund 66.000 Einwohner.
  • 15. Siehe Anm. 2.
  • 16. Siehe Anm. 2.
  • 17. Siehe Anm. 14.
  • 18. „Kampf dem undeutschen Geist‘ in: Flensburger NS-Zeitung vom 3.6.1933.
  • 19. „Kampf dem Schmutz und Schund‘, in: Flensburger Illustrierte Nachrichten vom 21.6.1933.
  • 20. Flensburg in der Zeit des Nationalsozialismus. Schriften der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte, Band 32, Flensburg 1983, S. 80.






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